Im Labyrinth von Tanger

01.11.2010 15:04 von Patrick (Kommentare: 1)

In der Nacht auf heute erleben wir erstmals höheren Wellengang: Die Aussendecks werden geschlossen, der italienische Kapitän muss die Geschwindigkeit zeitweise drosseln, um uns sicher nach Tanger zu bringen. Zum zweiten Mal in Folge haben wir die Uhren um eine Stunde zurückgestellt: Einmal wegen der Winterzeit, nun wegen dem Eintritt in eine neue Zeitzone.

Trotzdem legen wir auf die Minute genau das erste Mal am afrikanischen Kontinent an. Diesmal haben wir keine Tour gebucht, wir wollen die Stadt auf eigene Faust erforschen. Kaum gehen wir von Bord, werden wir von unzähligen selbsternannten Touristenführern bestürmt, um nicht zu sagen bedrängt, die uns Kamele, Teppiche und die Stadt zeigen wollen. Die einzigen Schilder sind arabisch beschriftet und die Karte die wir bei uns haben, ist in der Umgebung des Hafens wenig hilfreich. So nehmen wir doch einen der bereitstehenden Busse und lassen uns ins Stadtzentrum fahren. Als wir aussteigen, flüchten wir rasch vor den Händlern, Führern und Helfern die ein Geschäft wittern, vielleicht das letzte der Saison und versuchen unterzutauchen im moderneren Teil der Stadt.

 

Doch schnell merke ich, dass dies nicht klappt, von jetzt an vermutlich nicht mehr klappen wird. Wir sind Fremde in diesem Land und selbst wenn wir uns gleichermassen kleideten: Wir blieben jederzeit als klare Zielgruppe erkennbar: Touristen.

 

Der neuere Stadtteil ist gesichtslos und austauschbar. Viele Frauen sind hinter einem Ganzkörperschleier verborgen, es gibt aber auch jüngere, die ihr Haar offen tragen. Wir sehen eine erste Moschee, in der Nähe eine katholische Kirche und etwas weiter ein jüdisches Viertel. Aber bald wird klar: Hier ist nichts weiter, jedenfalls für uns. So nähern wir uns dem älteren Stadtteil, der Medina.

 

Mit einem Mal wird alles spannend: Hinter einem schmalen Eingangstor reihen sich schier unzählige Marktstände aneinander. Fleisch für eine ganze Stadt liegt auf Theken ausgebreitet, Gewürze in allen Farben, es riecht nach Fisch und nach Oliven. Weiter unten werden traditionelles Handwerk, Schmuck aber auch kopierte DVDs angeboten. Und natürlich sind hier Touristen. Wir rasten in einem Café, eine kleine europäische Insel, umgeben von buntem Treiben. Wir trinken süssen Pfefferminztee und jetzt ist der Moment gekommen, in dem ich Gefallen an diesem Ort finde. Ich verspüre Lust, weiter einzutauchen in diese fremde Welt und so suchen wir uns einen Weg durch die verwinkelten Gassen, etwas abseits der Touristenrouten. Bald kommen uns keine europäischen Gesichter mehr entgegen und ebenso bald werden wir von geschäftigen Einheimischen angesprochen, die wir höflich zurückweisen. Einer jedoch ist sehr geschickt: Er läuft einfach vor uns und beginnt alles zu kommentieren, das links und rechts auftaucht. Ich wechsle ein paar Worte mit ihm und das genügt hier als Geschäftsvereinbarung, Abdul ist jetzt unser Führer und will uns in die Gassen abseits der Medina nach Kasba führen.

 

Während wir durch immer dunklere und verlassenere Gassen kommen, versuche ich unseren neuen Freund zu lesen. Doch in seinen Augen sehe ich nichts als den schlauen und schelmischen Blick, den die Araber für mich einfach haben. Um welche Ecke wir auch biegen, Abdul scheint jeden zu kennen, diskrete Grüsse werden ausgetauscht. Wir sind mittlerweile irgendwo im nirgendwo, noch immer bin ich misstrauisch und frage ihn nun persönliche Dinge: Wo er wohne, ob er verheiratet sei und Kinder habe. Etwas überrascht, aber bereitwillig gibt er Auskunft. Und: Er will uns sein Haus zeigen. Er scheint mein Misstrauen bemerkt zu haben und zeigt mir seinen Ausweis, da steht seine Adresse, es ist nicht weit.

 

Abdul erklärt uns, in jedem kleinen Bezirk hier gäbe es zwei Moscheen und zwei türkische Bäder, Männer und Frauen strikt getrennt. Auch ein Bäcker gehört zu jeweils einem Bezirk und tatsächlich zeigt er uns einen Keller, ein Mann sitzt darin, neben ihm ein Sack mit Mehl und sonst nichts. Wir tauchen weiter ein in das Labyrinth von Tanger, ein Wechselbad der Gefühle – enge, dunkle, unangenehme Gassen, dann buntbemalte Hauswände, die Sonne direkt über uns. Genauso rasch wie Frauen, Jugendliche und Kinder da und dort plötzlich auftauchen, sind sie schon hinter der nächsten Ecke wieder verschwunden. Ob wir unser Schiff wohl rechtzeitig wiederfinden würden, wenn er uns einfach hier liesse?

 

Nach einer guten Stunde verkündet Abdul, dass er uns nun zu einer Kunstschule bringen würde, von dessen Dach man einen herrlichen Ausblick über die Stadt habe. Wir folgen ihm, bemerken dass er etwas kleines im Schilde führt und lassen uns dennoch darauf ein. Der Besitzer der Kunstschule, die nichts anderes ist, als eine Teppichmanufaktur, begrüsst uns in seinem Hause. Er wechselt mit Abdul ein paar Worte und wir folgen ihm auf das Dach des Hauses. In der Tat beeindruckend, eine Szenerie wie wir sie nur aus Hollywoodfilmen kennen, wenn Bösewichte von Dach zu Dach springen und die Agenten hinterher.

 

Nun werden wir zu einer Demonstration eingeladen, wir sollen Platz nehmen und schnell werden uns ein gutes Dutzend Teppiche vorgeführt. Dicke rote, dünne blaue und sogar nicht brennbare, wie uns mit einem Feuerzeug stolz demonstriert wird. Wir bedanken uns und drücken unsere Bewunderung aus, erklären, dass wir aber leider keinen Platz für derartige Schätze haben. Natürlich lassen die Verkäufer nicht locker und wir bitten Abdul, er solle die Vorstellung beenden. Er tut dies auch - wie ich zu bemerken glaube, jedoch etwas enttäuscht: Eine Provision wäre für ihn wohl drin gewesen. Trotzdem bringt er uns zurück an einen Ort, an dem wir uns wieder zurechtfinden werden. Ich frage ihn, was ich ihm für seine Führung geben dürfe. 30 Euro will er haben und dem guten Ton folgend feilsche ich mit ihm ein wenig und reiche ihm schliesslich 200 Dirham (rund 18 Euro). Er lacht und sagt, ich hätte nicht mit ihm, sondern mit den Teppichhändler feilschen sollen. Doch sein Lachen verrät mir, er ist mit dem Geschäft wohl sehr zufrieden.

 

So verlassen wir Abdul und finden wieder aus dem Labyrinth, sehen wieder andere Touristen, wie sie Pfefferminztee in silbernen Kännchen bestellen und gesellen uns dazu.

 

Etwas stolz, auf unser erstes kleines Abenteuer.

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Kommentar von Gabriela | 05.11.2010

Hallo du, verfolge deine Ausführungen mit grossem Interesse und wünsche euch weier eine "spannende" Reise.
Herzlichst Gabriela

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